Drin und drauf

Hi Internet

Sehr geschätzte Leserschaft, die es nun wirklich geben könnte, es ist mir tatsächlich gelungen: Ich bin online. Hätte nicht geglaubt, dass ich diese drei magischen Worte wirklich mal in meine Tastatur hämmern würde, doch es ist vollbracht. Ja, was soll ich sagen – ich habs einfach drauf. Welch phänomenaler Meilenstein für die Cancer-Community. Auf meinen Lorbeeren ausruhen möchte ich mich allerdings nicht. Im Gegenteil, jetzt gehts erst richtig los. Live, in Farbe und wild. So wild wie es dieses Internet nur hergibt.

Mein technisches Unvermögen hat mich inhaltlich ganz schön zurückgeworfen, muss ich gestehen. Immerhin wurde mir als Kind schon nachgesagt, man müsse mir irgendwann im Zuge meines Dahinscheidens “die Klappe extra erschlagen”.. Gut, dass es sich mit dem gedachten Wort in meinem Kopf ähnlich verhält. Will heißen: Kein Stress. Hole ich alles auf.

„Wenn ich schon kein Date habe, habe ich wenigstens Updates“

Beziehungsstatus meiner Besten, mein Zitat der Woche und Eure Hinführung zur Hinführung zum Thema: Nach den beiden OPs befinde ich mich aktuell in adjuvanter Chemotherapie. Prophylaktisch. Das Staging war negativ, also keine Metastasen. Yey! Dass Krebszellen in meinem Körper rumlungern, die sich womöglich zu solchen vereinen, ist allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen. Es folgen also noch 4 + 12 Chemo-Sitzungen, wobei die erste Phase alle 14 Tage stattfindet und in puncto Nebenwirkungen heftiger reinhauen soll, als die darauf folgende im wöchentlichen Rhythmus. 

Rudern, Laufen, Chemo

Zwei Cocktails wurden mir schon über meinen Port-trick, wie ich ihn liebevoll-näckisch nenne, ins System geballert. Die letzte am Dienstag. Meinem Naturell entsprechend bin ich mit Harakiri-Attitude alá “Die Chemo kann mir gar nix” in die nächste Challenge gestartet. Und alle so: “Obacht! Nicht unterschätzen! Weißt Du überhaupt, was auf Dich zukommt?”. Ja schon. wusste ich das. “Es wird heftig” haben sie gesagt. “Keine Energie” haben sie gesagt. “Gelegentlich zu kleinen Spaziergängen aufraffen” haben sie gesagt. “Nein, danke” habe ich gesagt. Und so lebe ich derzeit frei nach dem Motto “Rechts ist das Gas – und dazwischen Mittagsschlaf”. Diese gelegentlichen Power-Naps sind mittlerweile meine kleinen freundlichen Helferlein – insbesondere für die erste Zeit nach Injektionsgabe. Dazwischen bin ich doch meist sehr aktiv. Laufschuhe, Rudergerät, Fahrrad, Terra-Bänder – alles meine Freunde aktuell. 

Paddel-Mania

Am allerliebsten und ziemlich oft, bin ich beim Paddeln. Via Internetrecherche meiner Liebsten auf die Pink Paddlers gestoßen, eine Drachenboot-Mannschaft speziell für Brustkrebs-Betroffene. Bis dato noch keinerlei Berührungspunkte mit Wassersport, feiere ich nun so ziemlich alles daran. Den Tegeler See, der für mich in den letzten Wochen mehr Heimat zu sein verstand, als unzählige potentielle Orte zuvor. Seine fantastische Kulisse. 20 Gleichgesinnte im Gleichtakt. Eine super-coole, ebenso lautstark motivierende Trainerin, die nicht müde wird, mit ihrem natur-autoritären Organ auf süß technisches Unvermögen zu korrigieren. Für mich, exakt die richtige Mischung aus Ambition und “Dabei sein ist alles.” Es gibt m. E. nur wenig Schöneres als blaues Wasser und der angestrebten, als dann beruhigenden Harmonie, rhythmischer Bewegung im Gleichklang. Ausbalancieren eigener Körperkoordination – Aufdrehen, gerade Ziehen, Innehalten – gekörnt von energetischem Eintauchen und dann – kraftvolles Vorwärts-Gleiten. Jeder für sich, alle im selben Boot. Ja, das mag ich sehr. Und gut gehts mir da. Richtig gut. 

Die Leute in meinem Umfeld fragen relativ häufig danach, wie es mir geht. Oft ist da ein Zögern, etwas Fragiles in ihrer Stimme. Sie warten auf den Einbruch, nehme ich an. Mein obligatorisches, durchaus ernst gemeintes “Super und selbst?” erwarten sie, trotz inflationärer Verwendung meinerseits, nie. Um hier jetzt keine Missverständnisse zu streuen: 

Eine Chemo ist kein Pappenstiel

Und den “kein Pappenstiel” spürt man auch. Und ja, mir geht es trotzdem super. Grundsätzlich bin ich ja vong Religion her Glückskind. Schätze da kommen einfach mehrere Glückskind-Faktoren zusammen, da da z. B. wären:

  1. Meine Onkologin & Team sind der Hammer. Sie verschreiben jedes noch so teure Mittelchen und machen ihrerseits einfach alles, was mich nach vorne bringt. Ich für meinen Teil vertrage das Infusions-Zeug im Gegenzug ganz akzeptabel, mache den unzähligen Medis also alle Ehre. 
  2. Mein Leben ist schön. Ich bin mit einer phänomenalen Frau liiert, die ich sehr liebe, habe einen super-genialen Hund, eine sehr gute Freundin und so langsam die richtige Einstellung. Nachdem ich die 20 Jahre vorher ziemlich ausschließlich für meinen Job existent war, lerne ich nun mit Diagnose im Krankenstand neu kennen, was andere Schwerpunkte bedeuten. Dabei erfinde ich mich immer ein bisschen neu und bewege mich sukzessive ins Lot. Und ich paddle. Paddeln ist toll. 
  3. Ich sehe schlicht und ergreifend nicht ein, mich den Beeinträchtigungen hinzugeben. Nicht weil ich Übermensch wäre, etwas unterschätze, oder gar verdränge. Na gut, Ersteres vielleicht schon etwas. Wesentlich ist aber wohl, dass ich mich übe, anzunehmen, ohne mich darin zu verlieren. Das ist bei weitem noch nicht lange der Fall. Kurz zuvor steckte ich noch bis zum Hals im Schlamassel, sah folglich auch nur Matsch – und das, obwohl der Großteil der Scheiße noch nicht mal über mir ausgekippt war. 

Nein, unterschätzt habe ich die Chemo-Sache nicht. Vielmehr wusste ich sehr genau, ob Komplexität der Herausforderung, die da auf mich zu schipperte und eben auch, dass sie mit dem Mindset von vor wenigen Wochen, ein Leichtes täte, mich in den Untiefen von Beeinträchtigung und Selbstmitleid verschwinden zu lassen. Welch armseligen Untergang das gegeben hätte. So tief am Grund landen btw. nur die Allerhässlichsten im Biosphären-Lotto und da gehöre ich ja mal so überhaupt nicht hin. 

„Leichtigkeit“ ist das neue „Stark“

Wenngleich es erstmal ziemlich unmöglich schien, versuchte ich mich mit aller Kraft am Herumreißen des Steuers. Zunächst vergeblich. Nur unstämmbare Schwere und ich – eine kleine, übergewichtige Hummel, die nass geworden, mit jedem kräftezehrenden Versuch mehr verbitterte. Doch dann erinnerte ich mich. Ich erinnerte mich an andere Zeiten, in welchen ich durchaus als verhältnismäßig clevere Ausgabe meiner Spezies durchgegangen bin. Daran, wie mir in jenen anderen Phasen eben schon so einiges gelungen ist. 

Ich erinnerte mich, dass Hummeln fliegen können.

Dann verstand ich einmal mehr, wie viele kleine, separat durchaus bewegliche Elemente in dieses statische Ganze münden. So riss ich nicht länger am Gewicht, sondern begann es abzutragen. Besorgte mir nikotinfreien Tabak, um mit dem Rauchen aufzuhören, beschäftigte mich mit unterstützenden Übungen und sonstigen Life-hacks bei Krebs, kaufte mir eine neue Fitness-Watch zur Motivation, suchte mir eine Physio-Praxis in zwölf Kilometer Entfernung aus, um die Strecke mit dem Fahrrad zurückzulegen … und Paddeln. Ja, in das Paddel-Thema warf ich mich komplett. So komplett, dass ich mir gleich zwei Vereine gesucht habe, um meiner neuen Obsession fünf Tage die Woche zu frönen. Darüber hinaus meditiere ich konsequent, lese Gamechanger-Blinks und Bücher und genehmige mir, mich, mein Leistungsvermögen, meinen Weg, meine Zukunft, generell nicht mehr zu hinterfragen. Ich erlaube mir nur eins zu müssen: Maximal gesund werden. Es bedarf derzeit einfach keiner Antwort auf Fragen, die mich mein Leben lang unerfüllt ließen. Vielleicht braucht es sie gar nicht mehr. Oder in anderer Form. Wer weiß. Ist mir auch Wurscht. Ich geh’ meditieren. Amen.

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